Dissertation

Seit Mitte der 1990er Jahre widmet sich die empirische Bildungsforschung verstärkt der quantitativen Erforschung von Mathematikleistung. Dabei werden in Deutschland relativ stabile Geschlechterunterschiede in der Mathematikleistung zugunsten männlicher Versuchspersonen festgestellt. Inhaltliche Erklärungsversuche bringen regelmäßig Raumvorstellung als möglichen Mediator für diese Geschlechterunterschiede ins Spiel, ohne dass hierfür inhaltlich passende und empirisch hinreichend abgesicherte Befunde vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist die inhaltliche Kernfrage der vorliegenden Arbeit entstanden:

"Inwieweit lassen sich Geschlechterunterschiede in der Mathematikleistung durch Geschlechterunterschiede in der Raumvorstellung erklären?"

In einer umfassenden theoretischen Studie werden zunächst aktuelle Grundlagen und Befunde der quantitativ-empirischen Erforschung von Mathematikleistung zusammengefasst und aus inhaltlicher und methodischer Perspektive diskutiert. Anschließend wird der vornehmlich durch psychologische Forschungsansätze geprägte Gegenstand Raumvorstellung in seiner historischen Entwicklung und mit aktuellen Befunden dargestellt.

Auf dieser Basis wird im empirischen Teil der Arbeit zunächst ein Instrument entwickelt, mit dem Raumvorstellung ausdifferenziert und effizient erfasst werden kann. Mithilfe dieses Instruments wird der Zusammenhang von Raumvorstellung und Mathematikleistung unter besonderer Berücksichtigung etwaiger Geschlechterunterschiede untersucht. Als In-strument für die Erfassung von Mathematikleistung wird dabei die nordrhein-westfälische Lernstandserhebung in der Jahrgangsstufe 9 (LSE 9) verwendet.

Die erhobenen Daten werden mit einem breiten Methodeninventar ausgewertet. Neben klassischen Verfahren der multivariaten Statistik finden vor allem ein- und mehrdimensionale Rasch-Modelle sowie Strukturgleichungsmodelle Anwendung, wobei sich die Methodenauswahl eng an der inhaltlichen Fragestellung orientiert.

Mit einer inhaltlich und empirisch tragfähigen Ausdifferenzierung der beteiligten Konstrukte gelingt es, Geschlechterunterschiede in der Mathematikleistung statistisch vollständig durch entsprechende Geschlechterunterschiede in der Raumvorstellung zu erklären. Dabei spielt die Raumvorstellungskomponente mentale Rotation eine zentrale Rolle.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung, dass (a) Raumvorstellung ein wesentlicher Bestandteil in Rahmenmodellen für die Erforschung von Mathematikleistung sein sollte, (b) Raumvorstellung dabei in theoretisch und empirisch abgesicherte Komponenten ausdifferenziert betrachtet werden muss und (c) mehrdimensionale Modellierungen von Mathematikleistung für mathematikdidaktische Fragestellungen in der Regel ergiebiger sind als eindimensionale Modellierungen.

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